Zum Buch:
Schon jetzt ist die Menge an Veröffentlichungen anlässlich des hundertsten Jahrestags des Endes des Ersten Weltkrieges nicht mehr zu überblicken. Interessanterweise folgen dem jetzt schon Arbeiten zur Münchener Räterepublik, die gerade mal einen Monat im Frühjahr 1919 dauerte, von der bis heute eine enorme Faszination auszugehen scheint. Sozialismus in Bayern! Künstler an der Macht!!
Der Anarchist in Anführungsstrichen ist Erich Mühsam. Jan Bachmann hat Film studiert und kam über Umwege zum Comic. Seine Geschichte über Erich Mühsam ist seine erste Veröffentlichung und befasst sich mit einem sehr kurzen Zeitraum des bewegten Lebens Mühsams. Im Spätsommer 1910 fährt der Anarchist und Lyriker zur Kur in die Schweiz, trifft seinen Liebhaber Johannes Nohl und reist anschließend nach München, dem Ort, mit dem man seine politische Karriere verbindet. Im Nachwort gibt Bachmann Auskunft über seine Motivation, ausgerechnet einen Comic darüber zu machen: „Zuallererst ist mir Mühsam in seinen frühen Tagebüchern begegnet. Als immer verschuldetes Bürgersöhnchen mit großen poetischen und politischen Ambitionen und einer meisterhaften Selbstinszenierung zwischen wahnwitziger Selbstüberschätzung und freundlicher Selbstironie – als ideale Comicfigur also.“
Die Ästhetik von Anarchist in Anführungsstrichen erinnert durchaus an Joann Sfar (Die Katze des Rabbiners). Der Stil verbindet den expressionistischen Zeitgeist sehr plausibel mit einer Comicästhetik, die sanft ironisiert. Die manchmal fast slapstickhaft umherwirbelnden Gliedmaßen wirken wie ein kluger Kommentar zur aufkommenden Liberalisierung des Körpers. Ein Bild des nackten Mühsam am Monte Verita ist im Anhang zu sehen. Auch wenn die Tage im April 1919 noch weit weg sind – der Aufruhr der Zeit ist zu erkennen.
Bachmann gelingt das Verfahren auf der Textebene mindestens genauso gut: die Verbindung von Zitat und Fiktion. Die Episoden folgen dem Originaltext aus Mühsams Tagebüchern, die Dialoge sind von Bachmann. Ihr Ton ist lakonisch und gibt ein Gefühl für die Idiosynkrasien dieser anarchistischen Bohemiens, deren fliegender Geist oft genug von sehr irdischen Anforderungen gefesselt war. Die Geldknappheit, die sexuelle Identität, der angeratene aber doch so schwere Verzicht auf Alkohol und Süßigkeiten machten die Arbeit an der Zukunft beschwerlich. Das alles entwickelt Bachmann anhand weniger Szenen fast beiläufig. Überzeugend auch Details wie z.B. die lakonischen Vignetten auf den Zwischenseiten und die großzügige Gestaltung, eine Graphic Novel, die wie ein klassischer Comicband daherkommt.
Bachmanns erster Comic spürt dem Geist der Zeit mit viel Witz nach und findet die zeichnerischen Mittel, ihren aufwühlenden Grundtenor darzustellen, ohne in falsches Pathos zu verfallen.
Jakob Hoffmann, Frankfurt