Zum Buch:
Als die Historikerin Elisabeth Bathori, die sich mit der Geschichte der Fotografie und der Postkarte beschäftigt, eher zufällig einen Fundus von Briefen aus dem Ersten Weltkrieg – und ein Haus auf dem Land – erbt, tut sich ein großes Panorama der französischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und ein weitverzweigtes Geflecht von Personen und Familien auf. In akribischer Recherche folgt Elisabeth, die selbst nach dem Tod ihres Geliebten in einer tiefen Krise steckt, den Hinweisen, die in den teils von der Zensur entstellten Briefen verborgen sind. Die Spuren, die sich in den Briefen des jungen Soldaten Alban de Willecott an den Dichter Anatole Massis finden, führen sie nach Lissabon, Belgien und immer wieder zu dem ererbten Haus in der Mitte Frankreichs, in dem sich die Wege der Protagonisten kreuzten und alle Fäden zusammenliefen. Hier erforschte Anatole die Sterne, hier lebte Diane, in die er allem Anschein nach verliebt war, hier entwickelten Alban und Anatole die Idee, dem Land die Schrecken des Krieges, die grausame Unfähigkeit der Generäle und den Wahnsinn des Lebens im Schützengraben durch einen Band realistischer Fotografien vor Augen zu führen. Aber die verschlungenen Lebensgeschichten enden nicht mit dem Ersten Weltkrieg; das Schicksal der Familien setzt sich im Zweiten Weltkrieg fort, in dem Politik, Antisemitismus und Verrat die nächsten Opfer fordern.
Gebannt folgt man den verschlungenen Wegen der Recherche mit all den notwendig dazugehörigen Irrwegen, Sackgassen und Abschweifungen, vertieft sich in die Erinnerungen von Zeitzeugen, in Dokumente, Feldpostbriefe, Tagebücher, taucht ein in die Schrecken der Kriege, die Europa verwüstet haben. Das ist höchst spannend zu lesen, ein Wissenschaftskrimi sozusagen, der die Faszination der Erforschung von Geschichte spürbar macht. Was mich bei der Lektüre aber am meisten beeindruckt hat, ist die große Ruhe, die das Buch ausstrahlt, die Gelassenheit der Sprache angesichts der unruhigen Zeiten, von denen erzählt wird. Über die Rahmenhandlung mit ihrer – unglücklichen – Liebesgeschichte mag man geteilter Meinung sein, und gelegentlich habe ich mich angesichts der vielen Protagonisten nach einem Personenregister gesehnt, aber davon abgesehen, ist Der Duft des Waldes ein Roman, in dem man sich über viele Stunden verliert und in vieler Hinsicht bereichert wieder in den Alltag zurückkehrt.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main