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Autor
Othmann, Ronya

Die Sommer

Untertitel
Roman
Beschreibung

Die Sommer erzählt von einer deutsch-kurdisch-jesidischen Familie aus der Perspektive des Mädchens Leyla, die in den neunziger Jahren in Deutschland geboren wird. Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurden, der in Syrien vom Assad-Regime verfolgt und gefoltert wurde; die Familie lebt in der Nähe von München. Jeden Sommer fährt Leyla zu ihren jesidischen Großeltern in ein kleines Dorf im Norden Syriens. Dort fühlt Leyla sich immer fremd, aber gleichzeitig sind ihre Erinnerungen an die Sommer in diesem Dorf eine Heimat für sie. Parallel wird von Leylas Heranwachsen in Deutschland berichtet. Auch hier wird sie als Fremde angesehen. Sagt Leyla, wir sind Jesiden, dann wissen die anderen gar nicht, wovon sie spricht – bis zu jenem Ereignis im Sommer 2014, dem Sommer des IS-Massakers an den Jesiden, ein Ereignis, das Leylas Vater mit den Worten kommentiert: „Es ist seltsam, aber zum ersten Mal wissen die Deutschen, wer wir sind.“.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2020
Format
Gebunden
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-26760-2
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Ronya Othmann wurde 1993 in München geboren und studiert am Literaturinstitut Leipzig. Sie erhielt unter anderem den MDR-Literaturpreis, den Caroline-Schlegel-Förderpreis für Essayistik, den Lyrik-Preis des Open Mike und den Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. 2018 war sie in der Jury des Internationalen Filmfestivals in Duhok in der Autonomen Region Kurdistan, Irak, und schrieb bis August 2020 für die taz gemeinsam mit Cemile Sahin die Kolumne „OrientExpress“ über Nahost-Politik. 2020 erschien im Hanser Verlag ihr Debütroman Die Sommer, für den sie mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet wurde.

Zum Buch:

Ronya Othmann schreibt für die TAZ gemeinsam mit Cemile Sahin die Kolumne „OrientExpress“.

Sie erzählt in Die Sommer von einer deutsch-kurdisch-jesidischen Familie aus der Perspektive des Mädchens Leyla, die in den neunziger Jahren in Deutschland geboren wird. Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurden; die Familie lebt in der Nähe von München. In ihrem Roman lässt Othmann den Vater der Protagonistin Leyla die Geschichte der Jesiden erzählen. Der Vater, der nicht religiös ist, der keinen syrischen Pass erhält und nicht studieren darf, weil er nicht mit dem Assad-Regime kooperiert, wird verfolgt und gefoltert und schafft es schließlich, nach Deutschland zu kommen, wo er Jahre auf die Anerkennung als politisch Verfolgter wartet. Er sitzt in seiner bayerischen Kleinstadtwohnung vor dem Fernseher und verfolgt die arabischen Nachrichten über den Arabischen Frühling, die Verbrechen der Islamisten und den Terror des Assad-Regimes. Jeden Sommer fährt Leyla zu ihren jesidischen Großeltern in ein kleines Dorf im Norden Syriens, „die Berge im Norden, die Ölpumpen im Osten und Süden, die Straße nach Tirbespi im Westen“ – eine Gegend, wo man Fische mit Tellerminen angelt, die man aus dem Grenzstreifen ausgegraben hat. Dieses karge, trockene syrische Dorf, in dem die Großeltern leben, ist alles andere als idyllisch. Leyla, die Alemanya, das fremde Mädchen, das jedes Jahr die Sprache neu lernen muss, kennt die Wege durch die Felder und über die Gräben nicht wie die anderen Kinder und kann auch keine Weinblätter rollen. Immer sind andere Menschen da, Familienbesuch, sie ist nie allein, alle schlafen in einem Hochbett, damit sie vor Schlangen geschützt sind. Sie schläft neben der Großmutter, an die sie sich hält, die ihr alles beibringt, auch die jesidische Religion. Leyla fühlt sich immer fremd, aber gleichzeitig sind ihre Erinnerungen an die Sommer in diesem Dorf eine Heimat für sie.

Parallel wird von Leylas Heranwachsen in Deutschland berichtet, von Pubertätserfahrungen, Freundschaften, Konflikten mit den Eltern und Liebeserlebnissen, von der Affinität zu Büchern und vom Erwachen des politischen Bewusstseins. Und von den Fragen, die man ihr immer wieder stellt. Die Deutschlehrerin fragt Leyla: „Woher kommt dein Name? Das ist ein arabischer Name, oder?“ Leyla schüttelt den Kopf. „Zum Islam kann uns sicher unsere Leyla etwas erzählen“, sagt die Sozialkundelehrerin und schaut sie erwartungsvoll an. Die Mutter ihrer Schulfreundin fragt sie: „Fastet ihr am Ramadan? Ist es nicht schwierig, so zwischen den Kulturen aufzuwachsen? Dein Vater ist sicher streng? Trägt deine Mutter Kopftuch?“ Und wenn Leyla antwortet, nein, wir sind keine Muslime, nein, wir sind keine Araber, nein, wir beten zu Hause nicht und fasten auch nicht an Ramadan, aber ja, meine Oma und meine Tanten tragen Kopftücher, wirft das nur noch mehr Fragen auf. Sagt Leyla, wir sind Jesiden, dann wissen die anderen gar nicht, wovon sie spricht – bis zu jenem Ereignis im Sommer 2014, dem Sommer des IS-Massakers an den Jesiden, ein Ereignis, das Leylas Vater mit den Worten kommentiert: „Es ist seltsam, aber zum ersten Mal wissen die Deutschen, wer wir sind.“.

Dieser Roman hat mir ins Gedächtnis gerufen, wie wenig ich über die Jesiden weiß, über ihre Religion und ihre Geschichte, die eine Geschichte der Vertreibungen und Tötungen ist.

Barbara Determann, autorenbuchhandlung marx & co. Frankfurt