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Averno

Autor
Glück, Louise

Averno

Untertitel
Gedichte. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Draesner
Beschreibung

Christian Metz sprach in seinem Buch Poetisch denken (Fischer Verlag, 2018) von unserer Gegenwart als einer Blütezeit der deutschsprachigen Lyrik. Aber auch international ist die Rezeption von Lyrik in den letzten Jahren wieder gestiegen. Insbesondere aus dem englischsprachigen Raum ist etwa mit den Übersetzungen von Anne Carson (Kanada), Alice Oswald (UK) und Ocean Vuong (US) für die deutsch- und zweisprachige Leserschaft viel Spannendes zu entdecken gewesen. Vorläufiger Höhepunkt der internationalen Aufmerksamkeit ist aber wohl die Auszeichnung von Louise Glück mit dem Nobelpreis für Literatur 2020.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Luchterhand Verlag, 2007
Seiten
176
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-630-87251-3
Preis
16,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Louise Glück wurde 1943 in New York geboren. Sie hat bisher zwölf Gedichtbände und zwei Essaysammlungen veröffentlicht. 2020 wurde sie ausgezeichnet mit dem Literaturnobelpreis »für ihre unverkennbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht«. Für ihre Werke erhielt sie u. a. auch den Pulitzerpreis, den Bollingen Prize, den National Book Award und die Gold Medal for Poetry from the American Academy of Arts and Letters. Glück lehrt an der Yale und der Stanford University und lebt in Cambridge, Massachusetts.

Zum Buch:

Christian Metz sprach in seinem Buch Poetisch denken (Fischer Verlag, 2018) von unserer Gegenwart als einer Blütezeit der deutschsprachigen Lyrik. Aber auch international ist die Rezeption von Lyrik in den letzten Jahren wieder gestiegen. Insbesondere aus dem englischsprachigen Raum ist etwa mit den Übersetzungen von Anne Carson (Kanada), Alice Oswald (UK) und Ocean Vuong (US) für die deutsch- und zweisprachige Leserschaft viel Spannendes zu entdecken gewesen. Vorläufiger Höhepunkt der internationalen Aufmerksamkeit ist aber wohl die Auszeichnung von Louise Glück mit dem Nobelpreis für Literatur 2020.

Ihr Lyrikband Averno, der bereits 2008 in der Übersetzung von Ulrike Draesner im Luchterhand Verlag erschien und jetzt neu aufgelegt worden ist, besteht aus zwei Gedichtzyklen. In ihnen treten zwei Hauptthemen der Lyrik Glücks besonders deutlich hervor: die physische Erfahrung und das Schauspiel der Jahreszeiten einerseits und die Erinnerung an eine Kindheit andererseits. Dabei entsteht bei Louise Glück eine zerrissene Zeitlichkeit; das Vergangene bleibt als Erinnerung ewig anwesend und präsent, während das zyklische Wiederkehren der Jahre Stillstand hervorbringt. Zur Verdeutlichung: Das Gefühl des Neubeginns, das dem Frühling wie ein Klischee, aber auch wie eine kindliche Vorstellung anhängt, der wir uns nicht entziehen können, wird in dem Gedicht Oktober, das den ersten Gedichtzyklus eröffnet, mit offenherzigem Erstaunen und Verzweiflung als vergangen und vergeblich erkannt. „Ist es wieder Winter, ist es wieder kalt […] war nicht die Nacht vorbei, | flutete nicht das schmelzende | Eis die engen Rinnsteine || wurde mein Körper nicht gerettet, war er nicht in Sicherheit […]?“. Das ganze Gedicht entfaltet sich entlang der einen Frage, ob es nicht Frühling gewesen sei. Man kann nun mit Recht sagen, dass diese Beobachtung nicht neu ist, aber das Neue ist auch nicht Glücks Gegenstand. „War die Nacht nicht vorbei?“ – darin steckt die so naive wie ehrliche Frage: Ist es nicht eine Zumutung, ist es nicht eigentlich unbegreiflich, dass die Zeit vergeht? Dass Tod und Winter immer wiederkehren, dass Heilung temporär ist? Im zweiten Teil des Bandes verlässt ein verzweifelter Farmer sein Feld, als er sieht, dass es nach einem alles vernichtenden Feuer wieder von Neuem zu wachsen beginnt: „Die Natur, stellt sich heraus, ist nicht wie wir; sie hat keinen Speicher für Erinnerung. Das Feld hat nicht plötzlich Angst vor Streichhölzern“. Glücks Dichtungen sind im Gesamten genommen solche reduzierenden Rückführungen. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf Widersprüche und Fragen, die wir mit der Zeit zu relativieren gelernt haben. Die Schlichtheit ihres Ausdrucks ist demnach auch nicht in erste Linie als postmoderne Sachlichkeit zu verstehen. Der Mythos ist nicht nur durch die Figur Persephones, die als Verkörperung sowohl der verlorenen Kindheit als auch der wiederkehrenden Jahreszeiten die Galionsfigur von Averno ist, das Leitmotiv der Dichtung, sondern auch in der durch die Ernsthaftigkeit, mit der einfache und grundsätzliche Fragen gestellt und Beobachtungen gemacht werden. Glück wehrt romantisierende und symbolische Aufladungen nicht mit großer Geste ab, sondern vertraut darauf, dass sie sich beim Lesen von selbst als Fehllektüre erweisen. Das Feld ist wirklich nur ein Feld, aber was heißt nur? Glücks Dichtung zeichnet sich bei genauerem Hinsehen durch eine Art Abwesenheit des Metaphorischen und Symbolischen aus. Lassen sich gerade Natur und Kindheit überhaupt (noch) als solche betrachten? Und das auch noch in der Form der Poetik? Mit der Lektüre Glücks lässt sich dieser Versuch unternehmen.

theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt